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Ein ambivalenter Entscheid

Die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht UFS begrüsst die Bestätigung des Bundesgerichts, dass ausbezahlte Freizügigkeitsguthaben nur beschränkt pfändbar sind. Gleichzeitig bedauert die Fachstelle, dass das Gericht Rückzahlungen von Sozialhilfeleistungen mit Geldern aus der persönlichen Altersvorsorge nicht als unzulässig erachtet.

Armutsbetroffene Personen werden kurz vor dem Erreichen des Pensionsalters gezwungen, ihr Altersguthaben zur Rückzahlung von rechtmässig bezogenen Sozialhilfeleistungen zu verwenden. Gegen diese stossende Praxis einiger Aargauer Gemeinden hatte die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht UFS in einem konkreten Fall beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht.

Mit seinem Entscheid korrigiert das Bundesgericht die bisherige Rechtsprechung im Kanton Aargau. «Das Bundesgericht hat klargestellt, dass Altersguthaben auch nach der Auszahlung zumindest teilweise vor einer Pfändung geschützt sind», sagt UFS-Rechtsanwalt Tobias Hobi. Gemäss der langjährigen, im Aargau bisher aber nicht angewandten Rechtsprechung muss die Kapitalauszahlung in eine Rente umgerechnet und anschliessend die pfändbare Quote berechnet werden. Was sich technisch anhört, hat für die betroffenen älteren Sozialhilfebeziehenden positive Auswirkungen: «Wenn diese verbindlichen Regelungen künftig auch im Kanton Aargau angewendet werden, führt dies dazu, dass in den meisten Fällen keine oder eine nur sehr bescheidene pfändbare Quote resultiert», erklärt Hobi. «Rückzahlungen sind so in vielen Fälle gar nicht oder nur in kleinerem Ausmass nötig.» Für die Gemeinden, welche Pensionäre betreiben, heisst dies: «Ausser Spesen nichts gewesen».

Einen weiteren Aspekt des Urteils kritisiert die UFS aber. So erachtet es das Bundesgericht als zulässig, dass Vorsorgegelder für die Rückerstattung von rechtmässig bezogenen Sozialhilfeleistungen verwendet werden müssen. «Dieser Entscheid ist nicht zuletzt deshalb erstaunlich, weil dies dem in der Verfassung vorgesehenen Zweck von Altersguthaben widerspricht», sagt Rechtsanwalt Tobias Hobi. Die UFS begrüsst, dass die Aargauer Politik schon einen Schritt weiter ist. Der Regierungsrat hat den Gemeinden vor Kurzem vorgeschlagen, künftig komplett auf Rückzahlungen mit Altersguthaben zu verzichten.

Willkürliche Sachverhaltsdarstellung

Der UFS ist bewusst, dass das Bundesgericht grundsätzlich an die Sachverhaltsfeststellung der kantonalen Instanzen gebunden ist. Die UFS bedauert aber dennoch, dass das Bundesgericht das Urteil auf willkürliche kantonale Sachverhaltsdarstellungen abstützt: Anders als vom Gericht festgehalten, hat die Beschwerdeführerin nicht deshalb ihr Altersguthaben vorbezogen, weil sie keine Freiwilligenarbeit leisten wollte. Korrekt ist: Sie hatte ihre Bereitschaft zur Freiwilligenarbeit ausdrücklich bestätigt. Weiter ist zutreffend, dass die Beschwerdeführerin ihr Guthaben bezogen hat, um sich von der Sozialhilfe ablösen, in ihrer Wohnung verbleiben und sich endlich die für sie dringend notwendige Gesundheitsmatratze kaufen zu können. Es wäre deshalb zu begrüssen gewesen, wenn das Bundesgericht in der vorliegenden Konstellation die unzutreffenden Würdigungen aus dem Kanton Aargau berichtigt und als willkürlich eingestuft hätte.

Urteil: 8C_441/2021  

(publiziert: 17. Dezember 2021)

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