Geplante Reduktionen der Sozialhilfeleistungen in Zürich und Bern: Auswirkungen für die Betroffenen und die Gesamtgesellschaft
Während im Kanton Bern eine generelle Kürzung der Sozialhilfeleistungen um 10% geplant ist, solIen in Zürich die Gemeinden zukünftig selber über die Höhe der Sozialhilfe von vorläufig aufgenommen AusländerInnen bestimmen können. Ausgehend davon wird nachfolgend skizziert, was diese Kürzungsbestrebungen bei den Betroffenen aber auch gesamtgesellschaftlich bewirken oder eben nicht bewirken.
Zu hohe Sozialhilfeleistungen – daher keinen Job?
Die Sozialhilfeleistungen seien zu hoch und deshalb hätten die Betroffenen keinen Anreiz eine Arbeitsstelle zu finden, ist das Hauptargument der Befürworter der Leistungsreduktionen in Bern und Zürich. Entsprechend unabdingbar seien Leistungsreduktionen in der Sozialhilfe.
Während Bern eine generelle Kürzung von 10 Prozent bei allen Sozialhilfebeziehenden anstrebt, zielt die geplante Massnahme in Zürich ausschliesslich auf die Gruppe der vorläufig aufgenommenen AusländerInnen. Dabei lässt Zürich den Gemeinden bei der konkreten Umsetzung freie Hand. Sollte das Stimmvolk die Vorlage am 24.9.2017 gutheissen, könnte jede der 168 politischen Gemeinde die Höhe des auszurichtenden Sozialhilfegeldes selber bestimmen.
Die Erwerbsquote der vorläufig Aufgenommenen ist tief. Gemäss Statistik des Staatssekretariats für Migration beträgt sie 25 Prozent bei vorläufig aufgenommenen Personen, die sich seit 10 Jahren in der Schweiz aufhalten.1 Wer daraus jetzt aber den Schluss zieht, dies sei auf zu hohe Sozialhilfeleistungen zurückzuführen, liegt falsch. Kennt doch jedes kantonale Sozialhilfegesetz Instrumente und Vorgehensweisen, die es ermöglichen, die Sozialhilfe zu kürzen oder ganz einzustellen, wenn jemand nicht alles Zumutbare unternimmt, um seine Sozialhilfeabhängigkeit abzuwenden. Anders formuliert: Sozialhilfebeziehenden Personen, die nicht alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um wieder eine Arbeitsstelle zu finden, kann die Sozialhilfe gekürzt oder ganz eingestellt werden. Tritt Letzteres ein, erhalten die Betroffenen keinen Franken mehr, also auch keine Nothilfe. Die aktuelle Höhe der Sozialhilfe in den Kantonen Bern und Zürich ist folglich für das Finden einer Arbeitsstelle unerheblich.
Wer ernsthaft nach Gründen sucht, warum Sozialhilfebeziehende keinen Job finden, wird vermutlich eher fündig, wenn er die zahlreichen Integrationsprogramme auf ihre Wirkung hinsichtlich Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt überprüft. Möglicherweise hat es aber auf dem gegenwärtigen Arbeitsmarkt auch schlicht und einfach zu wenig Arbeitsplätze.
Grosse Wirkung im Portemonnaie der Armutsbetroffenen – kleine Wirkung im Portemonnaie der Gesamtgesellschaft
Durch die geplanten Reduktionen will Bern 20 Millionen und Zürich 10 Millionen sparen. Das tönt nach viel. Effektiv machen diese Beträge jede(n) ZürcherIn pro Tag um 2 Rappen und jede(n) BernerIn um 5 Rappen reicher. Niemand wird dies ernsthaft spüren, ausser die Armutsbetroffenen. Ob eine Einzelperson in Bern neben Miete und Krankenkasse für alles andere monatlich anstelle von 986 Franken noch 887 Franken zur Verfügung hat, macht einen grossen Unterschied. Noch grösser dürften die Einschränkungen für die Betroffenen im Kanton Zürich sein, wo jede Gemeinde die Höhe der Sozialhilfe bei Annahme der Vorlage selber festlegen kann. Für eine Familie mit zwei Kindern hätte dies bei einer angenommenen Leistungskürzung von 30 Prozent zur Folge, dass ihr neben Miete und Krankenkasse monatlich anstelle von 2110 noch 1477 Franken bliebe.
Kürzungen von Sozialhilfeleistungen betreffen immer auch die Gesamtgesellschaft
Die Sozialhilfe ist das letzte Netz im Sozialsystem der Schweiz. Wirtschaftliche Sozialhilfe wird erst geleistet, wenn die eigenen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes fehlen oder keine anderen Leistungen wie z.B. Arbeitslosengeld oder IV-Rente geltend gemacht werden können. Die Sozialhilfe soll die Existenz von Armutsbetroffenen sichern, ihnen eine selbstbestimmte gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen und ihre (Wieder-)Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt fördern. Durch die Verfolgung dieser drei Ziele leistet die Sozialhilfe einen zentralen Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Schweiz, wovon letztendlich auch die grosse Mehrheit profitiert, die nicht von der Sozialhilfe leben muss. Folglich haben Sozialhilfereduktionen immer auch negative Konsequenzen für die Gesamtgesellschaft, indem der gesellschaftliche Zusammenhalt aufs Spiel gesetzt und das friedliche Zusammenleben in diesem Land gefährdet wird.
Rund 300'000 Menschen leben in der Schweiz zurzeit von der Sozialhilfe. Jährlich beziehen sie gesamthaft Leistungen in der Höhe von circa 3 Milliarden Franken. Die Kosten für die Sozialhilfe machen ungefähr 2 Prozent der Gesamtausgaben für die soziale Sicherheit aus und entsprechen 0.5 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Somit kostet die Sozialhilfe jede Einwohnerin und jeden Einwohner der Schweiz pro Tag einen Franken. Soviel sollte einem das letzte Netz des Sozialsystems mindestens Wert sein. Am Anfang der Schweizer Bundesverfassung heisst es, dass sich «die Stärke des Volkes am Wohl der Schwachen misst» – für nur einen Franken pro Tag ist man dabei!
1 <https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/integration/berichte/va-flue/res-studie-erwerbsbet-va-flue-d.pdf>